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Die Wirtschaft hat eine Krise Kurzgeschichte

Die Wirtschaft hat eine Krise. Schon wieder. "Vielleicht ist es das Alter", denkt sie, wenn sie sich zunehmend zittriger und dünnhäutiger fühlt. "Vielleicht, ist aber auch einfach nur das, was irgendwann alle haben: ein schlimmer Burn Out." Immer öfter sitzt sie nur da. Starrt aus dem Fenster oder irgendetwas an. Etwas, auf dem ihr Blick seine Ruhe findet. Etwas, das nichts von ihr verlangt. Etwas, was nicht einmal seinen Etwas-Namen von ihr hören will. Doch ihre Ruhe wird zunehmend gestört. Sogar Nachts singt der Chor der Wirtschaftsweisen unter ihrem Balkon: "Alles hat ein Ende, nur die Wirtschaft nicht ..." - "So geht es nicht weiter", beschließt die Wirtschaft deshalb irgendwann und beantragt eine Kur. Tag für Tag, Woche für Woche wartet sie auf eine Antwort. Sobald sie das Klappern der Briefkästen weckt, schlurft sie in ihrem grauen Bademantel hinunter in den Flur. Wenn sie sieht, dass die Briefkasten-Klappe am Gehäuse anliegt, spart sie sich die letzten Stufen und kehrt wieder um. Denn nur wenn etwas eingeworfen wurde, steht die Klappe ab und reckt sich wie ein Versprechen nach oben. "Früher hatten die Postboten noch Zeit, die Briefkasten-Klappen zu schließen", denkt dann die Wirtschaft und findet, dass dieser Gedanke für einen Tag ausreichend ist. Irgendwann liegt der Brief im Kasten. "In meiner Kindheit waren die Krankenkassen-Umschläge grau, wie die Nachrichten vom Finanzamt, die einen erschrecken. Seit ein paar Jahren sind sie weiß. Das ist offenbar Teil der Markenstrategie der Krankenkasse, die für bessere Gefühle sorgen soll", denkt sich die Wirtschaft und reißt ihn gleich auf dem ersten Treppenabsatz auf. "Ihrem Anliegen konnten wir leider nicht entsprechen", liest die Wirtschaft. „Das liegt an der Wirtschaftskrise“, steht in der Begründung. Jetzt muss die Wirtschaft weinen, weil sie nicht nur einen Burn Out hat, sondern auch an allem Schuld sein soll. „Damit lässt sich nicht leben“, sagt sich die Wirtschaft. Also denkt sie daran, sich in den Tod zu stürzen. Am besten von einem Hochhaus. Gleich hier in Frankfurt. Sie setzt sich auf eine Stufe und muss lachen. Denn sie hat sich gerade eben vorgestellt, wie es wäre, das von einem Bankgebäude zu tun. „Wirtschaft stürzt sich von der Deutschen Bank zu Tode“, würde die Schlagzeile dazu lauten. „Hahaha“, das gefällt der Wirtschaft wirklich gut. Mit ihrem Lachen kehrt ihr Lebensmut zurück, in Begleitung einer waghalsigen Idee: „Ich werde mein Leben ändern, von Grund auf“, pocht es in ihr. Und sie beginnt gleich am selben Tag damit. In einer der vielen Online-Börsen gibt sie ein Stellengesuch auf: „Erfahrene Wirtschaft sucht neuen Wirkungskreis. Gern im Bereich: Sinn.“ Am Tag darauf meldet sich eine Metzgerei. Der Metzger hat dicke Hände und einen rosigen Schweinskopf. Das macht der Wirtschaft Angst. Und Blut kann sie auch nicht sehen. Als sie aus zwei fahlen Schweineschultern fettes Mett herstellen soll, übergibt sie sich in den Fleischwolf. Der Schweinskopf schwillt zu doppelter Größe und wirft sie mit schlimmen Worten hinaus. Die Wirtschaft will jetzt nur noch nach Hause. Sie fühlt sich nutzlos, alt und unglaublich müde. Vom letzten Geld nimmt sie sich ein Taxi. Auf der Kopfstütze steht: Fahrer gesucht. Und eine Telefonnummer. Sechs Tage später sitzt die Wirtschaft wieder im Taxi. Diesmal auf dem Fahrersitz. Das fühlt sich gut an für die Wirtschaft. Denn zum ersten Mal bringt sie Menschen dorthin, wohin sie möchten.

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