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Paartherapie Kurzgeschichte

Jana erinnerte sich nicht, ob es schon die sechste oder erst die fünfte Sitzung war. Sie blickte auf den Mund der Paar-Therapeutin, der sich unaufhörlich öffnete und wieder schloss. Die Entscheidung hierher zu kommen war immer noch nicht ihre. Sie ging auf seinen Vorschlag zurück und auf all die besorgten Stimmen, die sie monatelang ungefragt betextet hatten. Irgendwann war sie müde genug, um zuzustimmen. Gleich nach den ersten beiden Sitzungen hatten sie sich zu Hause an den Küchentisch gesetzt und geübt. Einer redete, der andere hörte zu. Bis zum Schluss. Ohne Unterbrechung durch den anderen. Danach wurde gewechselt. Wenn sie ihm davon erzählte, welch unbändige Wut in ihr aufsteigen konnte, wenn sie sich über den Staubsauger beugte und ihr das Gebläse die staubig-muffige Luft mitten ins Gesicht blies, dann las sie dabei sein Gesicht. Ob er in ihren Worten erkannte, wie klein und niedrig das Leben sein konnte und wie sehr man jemanden braucht, der wenigstens das versteht. Am Abend sah sie, wie er auf dem neuen glänzenden Ipad pro nach Staubsaugern mit Wasserfiltern suchte. Wenn er selbst von sich sprach, sprach er über seine Kollegen. Und über gravierende Fehler in Excel-Listen, die jeden Monat Umsatz kosteten. Wenn man nicht alles kontrollierte, war die Welt ein verlorener Ort. Doch er hatte sie im Griff. Wie die gemeinsamen Übungen, die ihm genug Gemeinsames waren. Und ihm auf einfache Weise versprachen, dass sich die 85 € pro Sitzung auszahlen würden. Dass es dadurch irgendwie weiterging oder wenigstens blieb, was es war. In den Nächten nach den Übungen tasteten seine Finger über ihren Körper, um den Lohn seiner Investition zu empfangen: die geschmacklose, durchsichtige Hostie des Akts. Sie kannte die Lüge, mit der sich seine Finger über ihre Haut bewegten. Die so taten, als streichelten sie zärtlich ihren Nacken, aber den Eingang in ihr Feuchtgebiet meinten. Wenn seine Finger zu schwitzen begannen, sagte sie: "Nacht". Ließ das "Gute" mit Absicht aus, um sich schnell Blick-los zur Wand zu wenden. Nur alle paar Wochen, wenn er zusehends unruhiger und ungehaltener mit den Kindern wurde, ließ sie ihn noch hinein. Ohne sich ihm zu öffnen. Früher hatte sie dabei oft an einen ihrer gut gefüllten, digitalen Warenkörbe gedacht, die, nur noch einen Klick und eine Kreditkarte entfernt, in ihrem Laptop schliefen. Doch immer häufiger stellte ihre Sehnsucht schmerzende Fragen. Zog sie dorthin, wo sie sich verloren hatten. Rief einen Namen in die Weite der Erinnerung. Traf die Tage und die Nächte wieder, in denen sie sich liebten und ihre Worte atemlos miteinander tanzten, bis sie sich im einzigen, alles sagenden Satz vereinigten. Wenn sie ihn leise in der Stille wiederholte und sich dabei selbst berührte, ging sie die Jahre zurück. Und öffnete das Tor zu ihrer Lust mit seinem Namen. Bereit, im Rausch der Umarmungen alles zu geben und alles zu nehmen. So erkannten sie sich. Nur so.
Als ihre Therapeutin sie sanft am Arm berührte, schaute Jana auf. "Frau Winter, haben sie meine Frage nicht verstanden?" Jana schüttelte den Kopf. Also stellte sie die Frage noch einmal: "Was fehlt Ihnen in Ihrer Beziehung am meisten?" Sie tat, als suche sie eine Antwort. Dann sagte sie: „Er" und nannte einen Namen. Es war nicht der des Mannes, der neben ihr saß. Im Aufstehen hörte sie, wie er irgendetwas mit seiner Kopfschüttelstimme sagte.

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